Spaghetti

Mit hängendem Kopf kommt die Zweitklässlerin zum Unterricht: „Ich kann heute nicht lesen. Ich bin zu traurig.“ Warum? „Mein Papa hat einen Teller kaputtgeschmissen, und nun reden meine Eltern schon seit vielen Tagen nicht mehr.“
„Sicher hat sich dein Papa über etwas geärgert und ist dann wütend geworden. Das ist manchmal so. Selbst, wenn man so alt ist wie ich, ärgert man sich noch. Du ärgerst dich doch auch mal.“
„Ja“, nickt sie.
„Wenn ich mich früher über meine Tochter geärgert habe oder sie über mich, hieß es: ‘Komm an den runden Tisch, ich muss mit dir reden.’ Und wenn wir dann miteinander geredet haben, hat das manchmal ganz schön lange gedauert. Aber wir sind erst wieder aufgestanden, wenn wir uns ausgesöhnt hatten. Vielleicht kannst du deiner Mutter, wenn ihr allein seid, ja mal sagen, dass du traurig bist, weil sie nicht mehr redet. Und deinem Papa auch.“
Nach einer Woche kommt das Mädchen in der Klasse auf mich zugerannt, zieht meinen Kopf zu sich runter und flüstert: „Sie reden wieder. Heute kann ich lesen.“ Und als wir dann alleine sind, sagt sie: „Ich konnte bei uns keinen runden Tisch finden. Da hab ich den Küchentisch genommen. Und ich hab meiner Mama Lesezeit gespielt: Sie war das Kind und ich die Lesehelferin. Sie hat sehr gut gelesen mit sehr guter Betonung, hatte auf jeden Fall eine Belohnung verdient. Deshalb habe ich gesagt, dass wohl ein Restaurantbesuch fällig wär. Und mit Papa hab ich’s auch so gemacht. Als wir zum Italiener gegangen sind, haben sie aber immer noch nicht miteinander geredet. Dann hab ich gefragt, was sie denn wohl gerne essen möchten. Und wie mit einer Stimme sagen sie: ‘Spaghetti!!’ Wir mussten alle laut loslachen, und jetzt sprechen die beiden wieder.“

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Freiwilligenagentur Bremen