Expert:innengespräche zur Bremer Engagementstrategie
Mit Andreas Vroom vom LSB, Naciye Celebi-Bektas vom BRI, Volker Donk vom Netzwerk Selbsthilfe und Andrea Buchelt vom Landesfrauenrat
09. Januar 2023 – Ein Teil unseres Aufgabenspektrums besteht darin, mit Expert:innen unterschiedlicher Engagementbereiche Gespräche zu Themen zu führen, die bisher im Prozess noch nicht auftauchten, deren Perspektiven besonders spezifisch oder unterrepräsentiert sind.
Bereits im September haben wir uns mit Andreas Vroom getroffen, dem mittlerweile ehemaligen Präsidenten des Landessportbundes (Die Nachfolge hat im November Eva Quante-Brandt angetreten). Er kritisiert unter anderem das Versäumnis von Sportförderung an den Schulen und den Personalmangel und beobachtet seit Jahren, dass dieser Umstand durch das ehrenamtliche System der Sportvereine als „billige Sportlehrer:innen“ versucht wird, zu kompensieren. Auf der anderen Seite hält er die Sportvereine für einen systemrelevanten Bestandteil der Gesellschaft, der nur durch freiwilliges Engagement funktionieren kann und entsprechend deutlich mehr gesellschaftliche Anerkennung bedürfe – beispielsweise durch Unterstützung von Arbeitgeber:innen – als dies bisher der Fall sei. Außerdem braucht es eine stabile Grundfinanzierung für Vereine, die auch abhängig von der Sportart ungleich verteilt seien. Diese sind notwendig für Ausstattung der Sportstätten sowie die Ausbildung der Ehrenamtlichen, denn „von deren Kompetenzen hängt das Gelingen eines Vereins ab“.
Der Bremer Rat für Integration (BRI) ist eine bremische Besonderheit, denn er ist ein ehrenamtliches Gremium, das in politische Beratungs- und Entscheidungsprozesse einbezogen wird. Wir haben uns mit Naciye Celebi-Bektas getroffen, der Vorsitzenden des BRI. Obwohl der Name des Rats „nicht mehr zeitgemäß“ sei, ist der BRI für sie ein wichtiges Gremium, ohne das eine wichtige Perspektive in politischen Prozessen oft nicht vertreten wäre, da die 40% Bremer:innen mit Migrationsgeschichte nicht im selben Maß in den Behörden vertreten sind. Unabdingbar sei aber der „interkulturellen Blick“, den die Vertreter:innen des BRI in die politischen Diskussionsrunden hinsichtlich Fragen, Inhalten und Entscheidungen mitbringen. Im Gegensatz zu den übrigen Teilnehmenden solcher Gremien und Entscheidungsentitäten besteht der BRI übrigens aus Ehrenamtlichen, von denen zwar über die Hälfte im Rahmen ihrer hauptamtlichen Tätigkeiten in den Rat entsandt werden, die anderen aber nicht. Eine Aufwandsentschädigung wäre hier angebracht und wertschätzend.
So werde die migrantische Perspektive grundsätzlich für wichtig gehalten, jedoch die Umsetzung durch eine fehlende Grundausstattung häufig erschwert. Mehr davon wünscht sich Celebi-Bektas für die Zukunft des BRI.
Ebenfalls getroffen haben wir Volker Donk, den Geschäftsführer des Netzwerkes Selbsthilfe. Donk bietet neben seiner Rolle als Leitung unter anderem auch selbst Beratungen und Fortbildungen für Vereine und bestehenden und neuen Selbsthilfegruppen an. Sie funktionieren im Normalfall ehrenamtlich, d.h. sie organisieren und moderieren sich selbst. Räume und Unterstützung erhalten sie dafür vom Netzwerk Selbsthilfe. Kompetenzen und Engagement sind unter den Freiwilligen reichlich vorhanden, und die Nachfrage und der Bedarf an Selbsthilfegruppen wächst stetig. Das Netzwerk Selbsthilfe hat laut Donk in Bremen eine starke Verankerung und ist durch Förderungen von Stadt und Krankenkassen gut ausgestattet. Es mangelt allerdings vermehrt an Räumlichkeiten, in denen sich die Gruppen treffen können. Die gibt es zwar, aber sie sind nicht ausreichend, oder mit hohen Mietkosten verbunden. Es gebe viele Anfragen, die nicht mehr so gut bedient werden könnten, so Donk. Anders als in vielen anderen Freiwilligenbereichen ist Anerkennung und Wertschätzung fester Bestandteil der Engagementkultur in der Selbsthilfe, da die Gruppenteilnehmenden sich gegenseitig stärken und fördern. Ein fester Ort, gemeinsam mit anderen Organisationen, ähnlich dem “Haus des Engagements” in Hamburg, wäre ein Modell, das Donk für das Netzwerk Selbsthilfe als eine mögliche Zukunftsperspektive sieht – auch hinsichtlich des interdisziplinären Austausches und von Kooperationen.
Einen etwas anderen Fokus setzt Andrea Buchelt vom Landesfrauenrat, die wir zum Gespräch im sfd getroffen haben. Sie sieht den Landesfrauenrat als wichtige Akteurin in der Tradition der Frauen*bewegung(en), der mit 76-jähriger Bestehungsgeschichte der älteste Frauenrat Deutschlands ist. Als Errungenschaft sieht sie die Ehrung der „Bremer Frau* des Jahres“, die seit über 20 Jahren in der Oberen Rathaushalle stattfindet. Für Buchelt stellen die fehlende Sichtbarkeit und der oft oberflächliche Fokus der Medien auf freiwilliges Engagement ein Problem dar. Sie wünscht sich hier mehr Würdigung für das Thema. Dafür sieht sie die Politik, aber auch die Medien in der Verantwortung. Wertschätzung bedeutet für sie aber auch politische Partizipation. Politik solle häufiger ehrenamtliche Expert:innen in politische Prozesse einbinden, denn davon würden beide Seiten profitieren: einerseits könnten Diskussionen durch ehrenamtliches Fachwissen gestärkt werden, andererseits bedeutete dies für die Freiwilligen, politische Selbstwirksamkeit spürbar zu machen. Hinsichtlich des Themas Nachwuchsmangel ist Buchelt der Meinung, es läge zum Teil auch in der Verantwortung der Vereine und Institutionen selbst, Platz für Nachwuchs zu machen und ihnen innerhalb der Organisation Raum und Mittel für Veränderungsprozesse zu überlassen. Junge Menschen würden sich vor allem dann engagieren, wenn sie einen Sinn in ihrer Tätigkeit sehen und ihre Lebensthemen einbringen könnten Das Agenda-Setting zu delegieren, ist die nicht ganz einfache Aufgabe für die häufig überalterten Vorstände.